Gedanken eines tibetischen Lamas �ber Weihnachten

Fragen und Antworten

Lama Thubten Yeshe

Frage: Haben Sie irgendeine besondere Botschaft f�r uns aus dem Westen, die sich auf die gegenw�rtige Weihnachtszeit bezieht?

Lama Yeshe: Der Zweck des Weihnachtsfestes liegt darin, da� jeder gesund und gl�cklich ist. Daher sollten wir daf�r sorgen, da� wir auf organische, d.h. nat�rliche Weise feiern, und nicht, weil es der konkreten Tradition entspricht. Wir m�ssen uns den nat�rlichen Flu� der Dinge bewu�ter vor Augen halten und uns nicht von alten Br�uchen einengen lassen. Dieser Flu� betrifft sowohl unsere Gedanken, als auch unsere konkreten Handlungen. Wir sollten uns unseres K�rpers und Geistes bewu�t sein und auch wie wichtig es ist, da� beide gesund sind.

Frage: Weihnachten, das ja die Feier einer Geburt ist, ist besonders ein Festtag f�r Kinder. Wie l��t sich dies mit dem nat�rlichen Feiern in Verbindung bringen?

Lama Yeshe: Jesus sagte, wenn wir nicht w�rden, wie die Kinder, so k�nnten wir nicht ins Himmelreich eingehen. Die Bedeutung dieses Rates kann f�r manchen ein Problem darstellen. Ich glaube, es bedeutet, da� unser K�rper und Geist im allgemeinen nicht gesund sind, weil unsere Vorstellungen - z.B. dar�ber, was Leben ist, usw. - zu konkret und schon zu festgelegt sind. Demnach w�rde �wie die Kinder zu werden� bedeuten, nat�rlicher zu sein oder die nat�rliche Wirklichkeit dessen zu entdecken, was wir als Menschen sein und tun k�nnen und nicht in die Falle unserer Fantasiewelt zu geraten, einer Welt der festgefahrenen Ideen. Normalerweise �bersehen wir das Nat�rliche und halten stattdessen an einem Fantasiebild von der Wirklichkeit fest. Es ist wichtig, dies zu erkennen.

Frage: Spirituell gesehen bedeutet also, �wie die Kinder zu werden�, nat�rlicher zu sein. Aber manche Menschen setzen �nat�rlich� mit �neurotisch� gleich. Was meinen Sie dazu?

Lama Yeshe: So wie ich das Wort immer gebraucht habe, bedeutet �nat�rlich�, anders zu sein, als nur intellektuell und steril. Es bedeutet, organischer zu leben, und das kann sehr tief gehen. Kinder haben z.B. etwas Offenes an sich, das wir alle kennen. Sie blockieren ihren Verstand nicht. Ihren Gef�hlen lassen sie freien Lauf. Sie zeigen ihre schlechten und ihre guten Seiten. Mit anderen Worten, sie �u�ern sich offen. Erwachsene dagegen lassen sich allzu oft vom Intellekt beherrschen. Diese starre intellektuelle Kontrolle unterdr�ckt das Unterbewu�te im Menschen und verhindert, da� es zu Worte kommt. Die Folgen sind unnat�rlich: eine gest�rte Kommunikationsf�higkeit und negative Gedanken. Kinder wiederum sind anders. Wenn sie sich �rgern, so zeigen sie ihren Unmut sofort. Wenn sie sich freuen, sagen sie es gerade heraus: �Ich freue mich �ber dich.� Diese Art der Offenheit ist nat�rlicher, sie entspricht unserer menschlichen Natur mehr, als die unechten Reaktionen eines neu rotischen Geistes.
Unbefriedigende Beziehungen zwischen Erwachsenen k�nnen entstehen, weil sie ihre nat�rliche Energie irgendwie blockieren. Die Folge davon ist eine blockierte Kommunikation. Ehekrisen z.B. entstehen oft, weil die Kommunikation gest�rt ist. Im allgemeinen ist dies die Ursache f�r alle Arten von neurotischem und unbefriedigendem Verhalten.

Frage: Wenn Menschen sich schon daran gew�hnt haben, ihre Energie zu blockieren, wenn sie es verlernt haben, offen und direkt zu sein, wie k�nnen sie das nat�rliche Kind in sich wiederfinden?

Lama Yeshe: Zuallererst mu� man sich einfach akzeptieren als das, was man ist, anstatt st�ndig ein anderer sein zu wollen. Menschen, die von ihrem illusion�ren lntellekt be herrscht werden, akzeptieren sich nicht. Daher sind sie auch nicht wirklich intelligent, denn sie sind unf�hig, ihre inneren Qualit�ten zu entdecken. Stattdessen suchen sie solche Qualit�ten au�erhalb von sich selbst und ihrer eigenen Wirklichkeit - dies ist �hnlich wie wenn man denkt: �Ich m�chte gern eine Blume sein.� Sie w�ren iedoch viel gl�cklicher, wenn sie ihre guten Eigenschaften erkennen w�rden und lernen k�nnten, ihre Wirklichkeit als solche, als das, was sie ist, zu akzeptieren. Das w�re viel besser.

Frage: Sie haben dar�ber gesprochen, da� man im Heiligen Geist geboren oder wiedergeboren werden kann. Was bedeutet das aus buddhistischer Sicht?

Lama Yeshe: In der buddhistischen Lehre nennt man den Beginn einer solchen spirituellen Wiedergeburt �Zufluchtnehmen�. Dies kann man folgenderma�en kurz erkl�ren:
An einem gewissen Punkt im Leben wird sich ein Mensch bewu�t, da� ein Teil seines eigenen Wesens schwach oder unterentwickelt ist. Dann wird ihm klar, da� diese dunkle, schattenhafte, unbefriedigte Energie sich in einer Weise bemerkbar macht, die Verwirrung und Leid hervorruft. Angesichts dieses Prozesses von Ursache und Wirkung sucht der Mensch schlie�lich die befreiten oder Buddha Dharma - Eigenschaften wahrer Weisheit.
Der Suchende nimmt Zuflucht zu diesen Eigenschaften und W�nscht aufrichtig, diese Weisheit, bzw. dieses Dharma-Verst�ndnis, zu verwirklichen und seine alten Gewohnheiten um einer besseren Sache willen abzulegen.

Frage: Demnach bedeutet es auch f�r einen Nichtbuddhisten Zufluchtnahme, wenn er irgendeinen spirituellen Weg einschl�gt?

Lama Yeshe: Ja, genau. Jedesmal wenn ich eine Zuflucht-Zeremonie abhalte, erl�utere ich, da� das eigentliche Zufluchtnehmen bedeutet, einen Geisteszustand zu f�rdern, in dem man Befreiung sucht vom Leid und seinen Ursachen. Die speziellen methodischen Mittel jedoch, z.B. was
sich w�hrend der Zeremonie vorgestellt werden soll, bleiben iedem einzelnen seIbst �berlassen. Man braucht nicht unbedingt die traditionellen buddhistischen Figuren zu verwenden. Wenn es jemandem leichter f�llt, kann er z.B. Christus visualisieren.

Frage: In diesem Zusammenhang taucht die Frage auf, ob ein Widerspruch besteht, wenn man sich als Buddhist betrachtet und auch tiefe Verehrung f�r Jesus empfindet?

Lama Yeshe: Nein, nicht im geringsten. Ich halte das sogar f�r etwas sehr Sch�nes. Unsere Kurse werden von vielen Menschen besucht, die sich als Buddhisten betrachten, und dennoch eine tiefempfundene Achtung f�r die bedeutenden Taten, die Bodhicitta-Handlungen und die g�ttlichen Eigenschaften Jesu Christi haben. Sie empfinden Verehrung f�r ihn. Es kommen auch viele Christen zu diesen Kursen, weil sie auf der Suche nach einer Art Methode sind, wie sie die buddhistische Meditationspraxis darstellt, um damit ihren eigenen Glauben besser aus�ben zu k�nnen. Diese Erfahrung habe ich wiederholt gemacht, und daher habe ich die Zufluchts-Zeremonie gelegentlich so abgehalten, da� sie sich mit den religi�sen Erfahrungen dieser
Menschen im Einklang befand.
Das Aus�ben der Zufluchtsnahme bringt es mit sich, da� ein besonderes Objekt der Zuflucht visualisiert werden mu�, und ich ermutige jeden, das zu w�hlen, was eine echte Bedeutung f�r ihn hat.
Dieses Objekt - einige psychologische Schulen nennen es Archetypus - kann der buddhistischen oder aber einer anderen Tradition entnommen sein.
Im Jahre 1975 war ich z.B. mit einer Gruppe Christen in Indiana, USA, und es herrschte gro�es Interesse f�r das Prinzip der Zuflucht. Die Gruppe versprach sich viel von einer Methode, die es ihnen erlauben w�rde, ihre Energie in spirituelles Wachstum umzusetzen. Daher f�hrte ich sie in eine Zufluchts-Zeremonie, die eigens auf ihrer Verehrung f�r Jesus aufgebaut war. Und k�rzlich, bei einem Kurs in der Schweiz, dessen zweihundert Besucher gr��tenteils Christen waren, wurde das gleiche gemacht. Es hat den einzelnen viel gegeben.

Frage: K�nnen Sie einmal knapp schildern, wie eine Meditations�bung f�r einen Anh�nger Jesu aussehen k�nnte?

Lama Yeshe: Als t�gliche �bung eignet sich folgendes: Sitze, oder wenn du m�chtest, knie in bequemer Haltung, d.h. entspannt, aber mit geradem R�cken. Visualisiere dann mit deinem geistigen Auge Jesus vor dir. Auf seinem Gesicht liegt ein ruhiger, friedvoller und liebender Ausdruck. Als Vorlage f�r diese Visualisierung kann ein Bild verwendet werden, das den auferstandenen Christus oder Jesus beim Predigen darstellt.
Stelle dir dann eine F�lle von strahlendem, wei�em Licht vor, das vom Scheitel seines Hauptes auf deinen eigenen Scheitel f�llt. Dieses wei�e Licht ist seinem Wesen nach segensreiche Energie, und wenn es in deinen K�rper eindringt, tilgt es jegliche k�rperliche Verunreinigung oderS�nde, die sich im Laufe zahlreicher vergangener Leben angesammelt hat. Diese segensreiche wei�e Energie reinigt den K�rper von allen Krankheiten, sogar Krebs und aktiviert und erneuert die Funktionen des gesamten Nervensystems.
Auf �hnliche Weise stelle dir rotes Licht vor, das von der Kehle Jesu ausgeht und in deine eigene hineinstrahlt und dabei dein Stimmzentrum v�llig mit dem Gef�hl der Gl�ckseligkeit erf�llt. Wenn deine Probleme mit dem Sprechen zusammenh�ngen - wenn du h�ufig l�gst oder unbeherrschte Bemerkungen machst, andere verleumdest, zu harte Worte gebrauchst und dergleichen mehr - so wird dich diese segensreiche Energie von all derartigen M�ngeln l�utern, und schlie�lich wirst du die g�ttlichen Qualit�ten des gesprochenen Wortes entdecken.
Als n�chstes strahlt vom Herzen Jesu aus ein unersch�pfliches blaues Licht in dein eigenes Herz hinein und befreit deinen Geist von all seinen falschen Vorstellungen. Diese segensreiche blaue Ausstrahlung reinigt dein selbsts�chtiges und kleinliches Ego, das man als das Oberhaupt deiner Verblendung bezeichnen k�nnte, und es vertreibt so zersetzende Eigenschaften wie Begierde, Ha� und Unwissenheit, allesamt Werkzeuge des Ego. Der unentschlossene Geist, der stets zweifelhaft und zwischen zwei M�glichkeiten schwankt, wird gekl�rt. Und auch der kleinliche, engstirnige Geist, der auf Grund seines eingeschr�nkten Blickfeldes unf�hig ist, die Gesamtheit aller Dinge wahrzunehmen, erf�hrt eine L�uterung. Sobald die Energie des Lichtes deinen Geist erf�llt, wird dein Herz weit wie der blaue Himmel und schlie�t in sich die gesamte kosmische Realit�t ein.
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Wem es nicht gelingt, das Gesamte zu visualisieren, der kann sich lediglich auf das Herz Jesu konzentrieren. Aus der Herzgegend strahlt eine F�lle von segensreicher, wei�leuchtender Energie ins eigene Herz und tilgt alle Verunreinigungen. Dies ist eine vereinfachte �bung, die aber dennoch sehr hilfreich sein kann.
Du kannst diese Meditation dadurch abrunden, da� du dir eine wei�e Lotusblume vorstellst, die in deinem Herzen erbl�ht. Die mitf�hlende Gestalt Jesu, die vor dir visualisiert ist, sinkt dann in dein Herz ein und manifestiert sich auf diesem Lotussitz. Alles, was du danach i�t oder trinkst, wird zu einer Opfergabe f�r Jesus in deinem Herzen.
Wenn diese Meditation t�glich konzentriert und mit einer reinen Motivation ausge�bt wird, kann sie deine gew�hnlichen Gedanken, Worte und Taten wirkungsvoll verwandeln und dich den g�ttlichen Eigenschaften Jesu n�herbringen.

Auszug aus: Gedanken eines tibetischen Lamas �ber Weihnachten, Lama Thubten Yeshe, Theseus Verlag, Z�rich, 1978

Antwort zu: Frohe Weihnachten! geschrieben von Andreas Khanal am 24. Dezember 2002 um 03:05 Uhr: