Re: Zur aktuellen Situation in Nepal

Hallo Andreas Khanal,

danke sehr fuer den Bericht und Kommentar.
Ich habe eine Verstaendnissfrage dazu.
Therefore, 1 USDT should always be about $1 USD. poloniex java Du verwendest den Begriff "Zivilgesellschaft" haeufig.

Meine Frage ist: Wer und was ist die Zivilgesellschaft in Nepal. Wofuer steht die und was will die?

Und wer und was ist die "gesellschaftliche Mitte", wo finde ich die?

Viele Gruesse
Brun

>
> Liebe Nepalfreunde,

> wie sieht es aus, mit Nepal?

> Das fragen wir uns wohl alle fast taeglich.

> Eine Einschaetzung der Lage kann immer nur subjektiv sein,
> das zeigte auch wieder der Nepal-Tag in Bonn. In vielen
> Punkten scheint es bei Fachleuten Uebereinstimmungen in
> der Lagebeurteilung zu geben - trotzdem hat da jeder
> seinen eigenen Standpunkt.

> Ich versuche noch einmal das Wichtigste zusammenzufassen:

> Derzeitiger Knackpunkt ist die seit ca. 2 Jahren vorbereitete
> und fuer 28. Mai 2010 geplante Ausrufung bzw. Verabschiedung
> einer neuen Verfassung.

> Ueber einzelne Punkte gibt es zwischen den Parteien und
> den Maoisten Meinungsverschiedenheiten.

> Derzeit gibt es eine Uebergangsverfassung, die zum 28. Mai
> auslaeuft. Als damals der Zeitplan fuer die neue Verfassung
> vorgegeben wurde, so ist man in Nepals Politik davon ausge-
> gangen, dass dieser Termin 'selbstverstaendlich' eingehalten
> wird.

> Die Frage, wass im Falle zu geschehen hat, wenn dieser
> Termin nicht zustande kommt, wurde offenbar weitgehend
> ausgeklammert. D.h., die haengen verfassunsgmaessig
> gesehen 'in den Seilen', wenn das Projekt jetzt erst
> einmal scheitert.

>
> Kurzer Rueckblick (stark zusammengefasst):

> Nachdem Koenig Gyanendra im April 2006 aus dem Amt gejagt
> wurde, dass er sich zuvor durch Verfassungsbruch angeeignet
> hatte, wurde der Friedensprozess durch die 7-Parteien Allianz
> mit G. P. Koirala an der Spitze und den Maoisten eingeleitet.

> Zu bemerken ist, dass zwar die Maoisten viel Druck ausgeuebt
> haben, damit der Koenig den Weg frei machte, jedoch war der
> ausschlaggebente Faktor die Zivilgesellschaft, die durch
> ihre Friedensdemonstrationen den Koenig zum Kippen gebracht
> hat. Nicht die Maoisten, sondern die Zivilgesellschaft
> traegt den Hauptanteil dieser gravierenden politischen
> Veraenderung.

> Es wurden mehrere Hundert maoistische Kaempfer aus
> den Gefaengnissen entlassen. Die Maoisten haben sich
> von der Gewalt losgesagt und im Gegenzug wurde die
> Abschaffung der Monarchie, eine neue Verfassung und
> die Ausrufung einer Republik in Aussicht gestellt.
> Geplant war die Eingliederung der maoistischer
> Kaempfer in die Armee und in die Zivilgesellschaft.

> Am 10. April fand die Wahl fuer die Verfassungsgebende
> Versammlung statt. Die Maoisten erhielten den hoechsten
> Stimmenanteil (ca. 30%), verfehlten aber die absolute
> Mehrheit. Die Folge war, dass nur eine Koalitionsregierung
> zustande kommen konnte.

> Festzuhalten ist, dass es sich hierbei nur um eine
> Interimsregierung handelte!

> Am 28. Mai 2008 wurde die 'Demokratische Bundesrepublik'
> schliesslich ausgerufen. Die fuer die Dauer von 2 Jahren
> vorgesehene Ubergangsverfassung trat in Kraft.

> Am 21. Juli 2008 wurde Ram Baran Yadav zum ersten
> Praesidenten der Republik Nepal gewaehlt.

> Am 15. August wurde Prachanda zum Premierminister gewaehlt.

> Prachanda wollte nun die Eingliederung der maoistischen
> Kaempfer in die Armee vorantreiben. Der Armeechef Rookmangud
> Katawal und die Armee insgesamt weigerten sich aber, die
> Kaempfer in ihre Reihen aufzunehmen. Die hatten sich ja
> schliesslich Jahrelang mit aller Haerte bekaempft!

> Der Machtkampf bekam einen Hoehepunkt. Am 3. Mai 2009
> entliess Prachanda schliesslich den Armeechef. Daraufhin
> veliessen einige Parteien die Koalitionsregierung. Praesident
> Yadav erklaerte die Entlassung des Armeechefs wiederum
> fuer ungueltig, woraufhin Prachanda als Premieminister
> zuruecktrat, da ihm klar wurde, dass er sich in einem
> ganz wichtigen Punkt nicht durchsetzen konnte.

> Zu beachten ist, dass die Maoisten zwar mit ca. 30%
> die staerkste Fraktion in der Koalition bildeten,
> dennoch damit aber nicht die Mehrheit in der Koalition.

> Und, wie bereits erwaehnt, die Armee, aber auch die
> Mehrheit in der Koalition moechten bis zum heutigen
> Tag nicht, dass die Armee durch Maoisten unterwandert
> sowie die Befehlsstrukturen aufgeweicht werden und
> die Befehlsgewalt in deren Haende gelangt.

> Natuerlich laeuft das Machtgezerre von beiden Seiten
> nicht verfassungsgemaess ab. Die Vorstellungen und
> Interpretationen sind bei allen Beteiligten sehr
> unterschiedlich. Jede Seite legt die Dinge zu eigenen
> Gunsten aus.

> Der Nachfolger von Prachanda im Amt des Premieministers
> ist der Fuehrer der Marxisten-Leninisten Madhav Kumar Nepal.
> Dieser moechte die Ausrufung der neuen Verfassung am
> 28. Mai 2010 am liebsten durchziehen.

> Die Maoisten halten Pramieminister Nepal jedoch nicht fuer
> rechtmaessig und fordern seinen Ruecktritt. Dabei ist es
> dann als Druckmnittel zum Generalstreik Anfang Mai gekommen.

> Die Maoisten haben auch in der Vergangenheit immer wieder
> versucht, Generalstreiks als Druckmittel einzusetzen und
> sie haben stets ihre Kaempfer und Jungendorganisationen
> mit in die Waagschale geworfen.

> Einerseits haben sie dadurch ihre Macht ausgespielt,
> andererseits ist das aber nicht gerade eine vertrauens-
> bildende Massnanahme, wenn man immer wieder mit
> erpresserischen Mitteln versucht, seine Ziele durchzu-
> setzen.

> Die Zivilgesellschaft hat nun jedenfalls reagiert und
> sich durch die Friedensdemonstration zurueckgemeldet,
> ins politische Geschehen.

> Nun gibt es natuerlich ein komplettes Durcheinander.
> Die Maoisten wollen den Ausruf der Verfassung zum
> jetzigen Zeitpunkt zum Fall bringen. Die amtierende
> Regierung moechte das aber durchziehen, der Premierminister
> im Amt bleiben. Die Business Community moechte ebenfalls
> durchziehen. Aus der Zivilgesellschaft kommen unterschiedliche
> Stimmen. Es gibt Politiker, die mittlerweile Personen
> fuer die Nachfolge von Praesident Nepal handeln. Die
> Maoisten hatten zwischendurch mal gesagt, ein Nachfolger
> von Praesident Nepal koenne aus jeder Partei kommen und
> muesse kein Maoist sein. Ob das aber wirklich ernst gemeint
> war - wer weiss es?

> --

> Warum wird in dieser Situation so hart gekaempft?

> Die Maoisten haben zum Ausdruck gebracht, dass sie, wenn
> sie wieder an die Macht kommen, diese nicht wie im Mai
> 2009 wieder loslassen werden. Diesen Fehler wollen sie
> kein zweites Mal machen.
> Die Parteien und grosse Teile der Zivilgesellschaft trauen
> den Maoisten aber nicht und moechten ihnen nicht die
> 'absolute ' Macht uebertragen. Letztendlich wird ein
> Systemwechsel befuerchtet.

> Entscheidend ist, welche Seite zum Zeitpunkt der Ausrufung
> einer neuen Verfassung an der Regierung ist, da in diesem
> Zusammenhang im ganzen Land viele neue Posten zu besetzen
> sind. Wer gerade an der Macht ist, hat dadurch einen
> langfristigen Vorteil.

> Grundsaetzlich problematisch ist, dass zwischen den
> Parteien keine wirklich klaren Absprachen und Vereinbarungen
> bestehen und die Dinge, wie schon erwaehnt, zum einenen
> Vorteil ausgelegt werden. Und manches ist auch gar nicht
> klar definiert.

> Es wird z.B. viel von Demokratie geredet, welche Form
> der Demokratie in Nepal aber bestehen soll, dass weiss
> scheinbar keiner so genau oder es wird vermieden das
> klar zu definieren.

> Beim Nepal-Tag in Bonn wurde diesbezueglich erwaehnt,
> dass es zur Zeit in der Welt 26 verschiedene Formen
> von Demokratie gaebe. Auf die Frage, welche Form der
> Demokratie die Maoisten denn haben wollten, habe Dr.
> Baburam Bhattarai geantwortet 'die 27. Form'!

> Was auch immer das heissen mag?!

> Die Maoisten und auch andere Parteien aeussern sich
> oft sehr unklar und schwammig zu dem, was sie eigentlich
> wollen. Das Ganze ist ein einziges Dilkemma.

> --

> Was wird denn nun kommen? Generalstreik ab 25. Mai
> 'ja' oder 'nein'?

> Ruecktritt des Premierministers 'ja' oder 'nein'?

> Neue Verfassung am 28. Mai 'ja' oder 'nein'?

> Dazu gibt es fast jeden Tag unterschiedliche Entwicklungen.

> Es ist eine reine Mutmassung: ich persoenlich koennte mir
> vorstellen, dass der Termin fuer eine neue Verfassung erst
> einmal herausgeschoben wird. Um 6 Monate oder 1 Jahr. Der
> Premieminister wird irgendwie aus dem Amt geschoben. Ein
> neuer Premieminister wird ernannt. Kein Maoist. Mit einem
> neuen Premierminister wird versucht, ein wenig besser
> auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Die Maoisten werden
> irgendwie einbezogen werden muessen. Die neue Verfassung
> wird kommen. Hoffentlich! Wann? Voellig offen!

> Werden die Maoisten, wenn sie nicht genuegend Beruecksichti-
> gung finden wieder ihren Gewaltvoellen Kampf aufnehmen?

> In Form eines erneuten Buergerkrieges scheint dies nach
> Einschaetzung von Experten eher unwahrscheinlich. Beim
> letzten Mal hatten sie eine lange Vorbereitungszeit und
> konnten ihre Kraefte ueber Jahre formieren. Nun aber sind
> auch sie, was ihre paramilitaerische Schlagkraft im Gesamten
> anbetrifft, sicherlich geschwaecht. Diese ganzen Jahre sind
> auch an den Maoisten nicht spurlos voruebergegangen. Sie
> ueben zwar Lokalmacht aus, aber auch nach all den Jahren
> sind sie nicht wirklich an der Macht - bisher jedenfalls
> nicht im Machtzentrum des Landes, in Kathmandu. Sie wollen
> an die Macht, aber bis jetzt sind sie es nicht.
> Die Kaempfer lungern im Grunde genommen in irgendwelchen
> Lagern herum und es gibt keine richtige Beschaeftigung
> fuer sie. Gerade die jungen Leute werden kaum etwas gelernt
> haben. Sie sind arm, sie sind froh, wenn sie etwas zu Essen
> und zu trinken haben. Und die Maoisten sind zersplittert,
> in verschiedene Gruppierungen. Es gibt gemaessigte und es
> gibt radikale Gruppen. Die radikalen Gruppen wuerden sich
> nicht langfristig durchsetzen koennen. Sie sind zu radikal
> und zu wenig intellektuell. Um an der Staatsmacht zu sein
> braucht es aber einen intelektuellen Unterbau.

> Es kann allerdings passieren, dass die Maoisten verstaerkt
> zum Terrosismus uebergehen. Dass sie vielleicht vermehrt
> Bombenanschlaege oder aehnliches durchfuehren. Das ist
> alles schwer zu sagen. Grundsaetzlich haben die Maoisten
> recht gute Verbindungen zu den Nalaxiten. Das ist das
> indische Pendant. Die Nalaxiten sind extrem Gewalttaetig
> und verantwortlich fuer viele Terroranschlaege in Indien.
> Gerade gestern hat es da wohl wieder einige Tote gegeben.

> Wer mit den Nalaxiten 'gemeinsame Sache' macht, wird
> letztendlich in der nepalischen Zivilgesellschaft nicht
> ankommen. Und die Zivilgesellschaft wird in einem - wie
> auch immer 'demokratischen' Nepal - in Zukunft wichtig
> sein.

> China und Indien haben grundsaetzlich eher ein Interesse
> an einer politischen Stabilisierung Nepals.

> China ist daran interessiert, die Exiltibeter in Nepal
> im Griff zu haben. Indien hingegen will bestimmt
> keinen Maoistischen Nachbarstaat, der den indischen
> Nalaxiten ein Vorbild sein koennte. Ausserdem waere
> damit zu rechnen, das Nepal ein Waffen-Durchgangsland
> werden koennte und die Nalaxiten besser mit Waffen
> versorgt wuerden.

> ---

> Es bleibt zu hoffen, dass die Zivilgesellschaft in
> Nepal an Staerke gewinnt und Nepal einen 'Mittelweg'
> einschlaegt. Das waere warscheinlich das Vernuenftigste.

> Die Bevoelkerung muss ernaehrt, gebildet, sinnvoll
> beschaeftigt und gesundheitlich versorgt werden -
> und wenn die Menschen ein gewisses finanzielles
> Auskommen haetten, das waere natuerlich auch ganz
> wichtig. Das sind meiner Meinung nach die Grundprobleme,
> die zu bewaeltigen sind. Wer es schafft, diese Probleme
> verstaerkt anzupacken und kleine Erfolge erzielt, hat
> die Chance das Land aus den groessten Schwierigkeiten
> heraus zu fuehren. Geschehen muss dies ohne Einsatz
> von Gewalt.

> ---

> Mit herzlichem Gruss
> Andreas

>

>


>

>
>
>

>


>
>


>

Abgeschickt von Brun am 17. Mai 2010 um 19:13 Uhr.

Antwort zu: Zur aktuellen Situation in Nepal geschrieben von Andreas Khanal am 17. Mai 2010 um 18:40 Uhr.


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